CinéCLUB Privé

2011-08-27 // 20:15

Josée Dayan kann sich genau so für den kleinen Bildschirm begeistern wie für die große Leinwand. Aufgewachsen ist sie in Algier, in der Obhut eines Vaters, der als Fernsehdirektor arbeitete, und einer Großmutter, die ein Kino betrieb. Ihre Karriere scheint diese Einflüsse zu reflektieren, denn sie ist geprägt vom ständigen Hin- und Herpendeln zwischen Kino- und Fernsehproduktionen. Gleich zu Beginn, nachdem sie zunächst paar Fernsehfilme gedreht hatte, realisierte die Regisseurin im Jahre 1979 den Kinofilm "Simone de Beauvoir", in dem die berühmte Feministin zusammen mit Jean-Paul Sartre zu sehen war. Erst 1990 kehrt Josée Dayan mit dem Film "Plein fer" ("Blanker Stahl") wieder auf die Kinoleinwand zurück, in dem Serge Reggiani, Patrick Bouchitey und Bernadette die Lafont Hauptrollen spielen. Für das Fernsehen war sie an mehreren Episoden von Navarro, Julie Lescaut, Le JAP, und La Rivière Espérance beteiligt und hat auch für die Serien Super Polar und Sueurs Froides Beiträge geliefert. Seit einigen Jahren führt Josée Dayan bei hochkarätigen Produktionen für das französische Fernsehen Regie, wie zum Beispiel bei "Les Misérables" ("Les Misérables – Gefangene des Schicksals"). Wie sehr ihre Erfahrung und ihr Know-how geschätzt werden, beweist ihre Zusammenarbeit mit Schauspielern wie Gérard Depardieu ("Le Comte de Monte Cristo"/"Der Graf von Monte Cristo") und Jeanne Moreau ("Balzac"/"Balzac – ein Leben voller Leidenschaft" und "Cet amour là"/"Diese Liebe"). Dieses gegenseitige Vertrauen war überhaupt der Auslöser dafür, dass Josée Dayan und Jeanne Moreau sich für eine Zusammenarbeit an "Cet Amour-là" entschieden, ein Film, welcher der Regisseurin ein glanzvolles Comeback in die Welt des Kinos bescherte. (Siehe Arte!)

Fünf Jahre lang schrieb er ihr, fünf Briefe die Woche. Dann hörte der Student auf, ihr, der Schriftstellerin, zu schreiben. Marguerite Duras ruft Yann Lemée an und bittet ihn um ein Treffen. Die letzten sechs Lebensjahre der Duras bleiben sie zusammen, als ungleiches Liebespaar, bis Marguerite 1996 stirbt. Er begleitet als Weinbeschaffer ihre Alkoholexzesse, erduldet ihre Ausbrüche von unvorstellbarer Selbstüberhöhung, läßt sich als »Doppel-Null« beschimpfen. Schreibt auf, was sie ihm diktiert, und vielleicht folgte Yann nur dem Geheiß der Gebieterin, wenn er nach ihrem Tod unter dem nom de plume Yann Andréa beginnt, diese letzten sechs Lebensjahre, die Zeit der Intimität mit der um 30 Jahre älteren grande dame der französischen Literatur niederzuschreiben. »Du mußt ein Buch schreiben. – Ich werde der Gegenstand deines Buches sein.«

Cet amour-là (Diese Liebe) nennt Andréa nonchalant die Geschichte, und Josée Dayan gelingt es in ihrer gleichnamigen Verfilmung, die Beiläufigkeit, die im Titel anklingt, in Szene zu setzen. Die außergewöhnliche Liebesbeziehung zwischen einem dahergelaufenen Studenten und der großen Autorin des Nouveau Roman findet sich in einer Normalität wieder, wenn über den Geschmack des Essens gesprochen wird und über die Frage, ob noch Wein im Hause ist. Auch die herausgehobene Situation, wenn Duras Yann ihre Romane diktiert, setzt eine Alltäglichkeit des Schreibens jenseits aller Mystifizierung in Szene, deren Kernfrage lautet: »Wie hieß doch gleich der letzte Satz?«

Dayan kadriert aus einer Distanz hinter dem Schreibtisch; eine Atmosphäre von beobachteter Intimität zwischen der Schriftstellerin und dem Aufschreibenden verbreitet sich, die in den parallelmontierten Close-Ups der Gesichter fortgeführt wird. Sie blenden den äußeren Raum aus und entfalten das Ich-Du eines dialogischen Lebens, das ganz in Liebe und Literatur aufgegangen ist.

Zu leben heißt hier zu schreiben, und die Gespräche zwischen Duras und Yann kreisen immer wieder um die Frage: Wie ist es möglich, über etwas zu schreiben, wenn es kein Leben außerhalb des Schreibens mehr gibt? Wenn es so in eins fällt, daß nur noch der Schreibprozeß das Leben aufrecht erhalten kann, dessen insgeheimer Motor wird, und nicht mehr das Leben das Schreiben speist?


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