MODERATO CANTABILE I.

12. Juni 19:00 Uhr

"Moderato cantabile" heißt – so will es die Klavierlehrerin übersetzt wissen – "gemäßigt und singend".
Ein Arbeiter tötet seine junge Geliebte in einem Café. Im Haus gegenüber befindet sich die Fabrikantengattin Anne Desbaresdes mit ihrem Sohn beim Klavierunterricht.  MODERATO CANTABILE  soll gespielt werden, aber der Aufruhr vor dem Café lenkt ab. Wie magisch angezogen, sucht Anne die nächsten Tage den Ort des Geschehens auf. Es heißt, es sei eine Tötung auf Verlangen gewesen. Sie kommt mit dem jungen Arbeiter Chauvin ins Gespräch, der Zeuge des Verbrechens war.  Während einer Woche entwickelt sich eine distanzierte und doch erotische Vertrautheit. Am Anfang stehen sich ihre Melodien unvereinbar gegenüber. Aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammend, beginnen sie erst mit der Zeit, aufeinander einzugehen, sich näher zu kommen. Doch keine Bach-Komposition ohne Kontrapunkt: Diese Rolle übernehmen der Ehemann, mit dem sich Anne nicht mehr versteht und die Gesellschaft, in der sie normalerweise verkehrt und zu der auch die Klavierlehrerin ihres Sohnes gehört: Während der Sohn sich weigert, seine Stücke so zu spielen, wie man es ihm beigebracht hat, protestiert die Mutter gegen die ungerechtfertigte Strenge der Lehrerin, die ihrem Sohn keinen Freiraum lässt, einen eigenen Stil zu finden. Konvention und Individualismus prallen aufeinander.

Mit verstörender Sachlichkeit berichtet Marguerite Duras von dem Versuch, hinter der unbegreiflichen Tat ein Motiv zu finden. Die Annäherung zwischen den zwei Personen, die sich damit befassen, einen "Sinn" des Verbrechens herauszufinden, schildert die Autorin distanziert und beinahe emotionslos. Stimmungen entstehen fast nur durch poetisch ausgemalte Naturbeschreibungen. Die dramatische innere Entwicklung der Protagonisten, die wieder in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren, sind nur ansatzweise nachzuvollziehen.

Marguerite Duras (1914-1996) zählt zu den herausragenden französischsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Zu ihrem über fünfzig Titel umfassenden und mit höchsten Auszeichnungen prämierten Werk zählen Romane, Erzählungen, Theatertexte, Theaterinszenierungen sowie Filmdrehbücher und Filmregie. Ihre Bücher sind in viele Sprachen übersetzt. Texte wie Die Verzückung der Lol V. Stein, Der Liebhaber oder das Szenario zu dem Film, Hiroshima mon amour von Alain Resnais verschafften der Autorin internationales Ansehen. Der Roman "Moderato cantabile" erschien 1958 und stellt einen Wendepunkt ihres Schreibens zum nouveau roman her.


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