Literatur & Film: Éric Rohmer

2015-03-13 // 19:00

Irmi Horn liest aus Sechs Sechs moralische Geschichten von Éric Rohmer.

Zum Tod des Dichters und Regisseurs schrieb DIE ZEIT:

Er hat für das Kino die Liebe gerettet

Die Lösung für die moderne Liebeskrise suchte der Katholik Rohmer in der französischen Vergangenheit, in der Tradition des 17. Jahrhundert, kurz: in der Welt von Racine, Descartes und vor allem - in der von Blaise Pascal. Dieser Philosoph war für ihn der Stern seines Lebens, und ohne seine unstillbare Liebe zu Pascal bliebe vieles in seinen Filmen unverständlich und rätselhaft. Für Rohmer hatte Pascal die Wahrheit erkannt: Wir, die Insassen der Moderne, haben kein Land mehr unter den Füßen, wir sind "eingeschifft" und treiben durch das Meer der Zeit. Niemand führt Regie und verrät den Liebenden, wer für wen bestimmt ist. Das heißt, die moderne Freiheit macht es den Menschen nicht leichter, sie macht es ihnen schwerer, denn sie lässt das Doppelgesicht der Leidenschaft "nackt" hervortreten, ihr Dunkles, ihre Ambivalenz. Sie zwingt die Liebenden, den richtigen Gebrauch von ihrer Freiheit zu machen: Sie müssen den Augenblick des Gefühls "ergreifen" und ihr Begehren in die Dauer der Liebe verwandeln. Sie müssen - wählen.

Dieses Kunststück gelingt bei Rohmer nur den wenigsten, meistens sind es komische Heilige und seltsame Vögel. Einer von ihnen heißt Jean-Louis und hat in Meine Nacht bei Maud (1969) seinen Auftritt, Rohmers erstem Kinoerfolg, der nicht zufällig in Clermont-Ferrand spielt, der Geburtsstadt von Blaise Pascal. Die Geschichte geht so: Im katholischen Gottesdienst begegnet der Held (Jean-Louis Trintignant) einer blonden Frau, ihre Blicke kreuzen sich und halten einander stand. Nach diesem biblischen "Erkennen" folgt Jean-Louis seiner Angebeteten auf Schritt und Tritt, doch wie der Zufall so spielt, verliert er sie ständig aus den Augen. Eines Tages zwingt ihn ein Schneesturm, bei der frisch geschiedenen Maud (Françoise Fabian) zu übernachten. Maud will ihn verführen, doch der Held zeigt ihr tapfer die kalte Schulter, schließlich hat er sich für Françoise (Marie-Christine Barrault) entschieden. Der treue Mann bekommt seine Jungfrau Maria, und bald liegt ein Kindlein in der Krippe. Am Ende treffen alle Beteiligten noch einmal aufeinander, und inzwischen kennt der Zuschauer die Wahrheit über die Heilige Familie: Françoise war die Geliebte von Mauds Ex-Mann und gab seiner Ehe den Rest. Dann lenkt die Kamera den Blick auf Maud, die sehr schön aussieht. Hätte sie nicht ebenso seine Frau werden können?

Viele empfanden Meine Nacht bei Maud damals als reaktionäres Rührstück und warfen Rohmer vor, er lasse die wilden Orchideen der freien Liebe im Tabernakel katholischer Sittsamkeit verdorren. Aber das war ein Missverständnis. Der Film handelte gar nicht von erotischer Freiheit, diese verstand sich von selbst. Der Film handelte davon, wie sich unter den Bedingungen radikaler, von allen Traditionen entbundener Freiheit das zufällige Begehren als personale Liebe adressieren lässt.

 


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