Ausstellungseröffnung // EIN SCHREIN

2012-06-23 // 19:00
 
 
 

EIN SCHREIN. Aufbewahrungsort für Reliquien. Kommunikationsraum des Vergangenen mit dem Jetzt zur Situationserhebung der Befindlichkeit. Verschmelzung von Real und Irreal.

DAS SCHREIN - lautstarke Äußerung zur Verdeutlichung von Zuständen, zur Bekanntgabe von Ereignissen, zur Aufnahme von Kontakt, als Warnruf und Signal.

Ingeborg Strobl lebt und arbeitet in Wien. Sie wurde 1949 in Schladming in der Steiermark geboren und studierte von 1967 bis 1972 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (Meisterklasse Franz Herberth) und von 1972 bis 1974 am Royal College of Art in London. Die Künstlerin ist Gründungsmitglied der Gruppe "Styrian Artline" sowie Mitglied der Gruppe "Die Damen". 1999 bis 2001 war sie Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien (Gestaltungslehre).
Ingeborg Strobl befasst sich nicht mit der Hervorbringung von  Kunstgegenständen und arbeitet auch nicht, um zu produzieren. Sie zeichnet und fotografiert nur dann, wenn sie konkrete Erinnerungen oder Gesehenes und Erlebtes verarbeiten möchte. Sie setzt sparsame optische Zeichen.

Mit dem SCHREIN baut sie nicht nur ein Denkmal für Rosa Strobl, ihre Tante, sondern auch eines für das Leben vieler alleinstehender Frauen, die in Ausdauer ein bescheidenes und arbeitsintensives Leben geführt haben, das ihnen über ihre sozio-kulturelle Einbindung Opfer abverlangte, die niemand honorierte. Strobl stellt mit den ausgestellten "Reliquien zweiter Klasse, auch echte Berührungsreliquien  genannt", aber auch Bezüge zu Natur und Erde her, die im städtischen Bereich fast verloren gegangen sind und setzt damit Zeichen für den achtungsvollen, maßvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen: Eine Aufforderung zu einer ethisch-philosophischen und ökologischen Auseinandersetzung, die der Wegwerf -Gesinnung, der beständigen Ersetzbarkeit und Austauschbarkeit nachhaltig die Stirn bietet.

Lena Lapschina, geboren 1965 in Kurgan, Westsibirien, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich.  
AUSBILDUNG zur Künstlerin und Kunstwissenschafterin an der Staatlichen Stroganow Universität für bildende und angewandte Kunst in Moskau. Abschlüsse: Mag. art. (1991), Dr. phil. (1996) / Mitbegründerin des State of the Art-Magazin, Kuratorin für M21. // Lena Lapschina wurde hinter dem Ural in der westsibirischer Taiga am Rande des größten Sumpfgebietes der Welt und der Grenze zu Nordkasachstan geboren. Trotz ihrer schamanischen Wurzeln wollte sie unbedingt Kosmonautin oder Moosforscherin werden. Vom Moosausforschen hat sich Lena Lapschina dann doch abgewendet. Als  „Kosmonautin" versucht sie die Erde umzukreisen, eine ziemliche Wegstrecke ist schon bewältigt worden. Mittlerweile verweilt Lena Lapschina in Österreich.  Ihre Auslandsaufenthalte führten sie nach Island, New York, London, Paris, Berlin, Dublin, Amsterdam, Hamburg, Stockholm, Prag, Debrecen, Toskana, Umbrien, Pennsylvania, Belgien, Schweiz (Genf, Bern), Kroatien, Slowenien und Südfrankreich. Ihre Arbeiten wurden europaweit gezeigt.

.Lena Lapschina
"1000 mm/ or The Bedroom Window"
Double projection, DVD, 22 min. 33 sec.

"Seit über zwei Jahren richtet Lena Lapschina ihre Zenit-Kamera mit aufgepflanztem Hyper-Teleobjektiv (1000 mm) aus immer dem gleichen Fenster im 7. Stock des Gasometer B in Wien-Simmering auf die ihr zu Füßen liegende Vorstadtlandschaft. Was sie einfängt und festhält - manchmal scharf, manchmal verschwommen - ist die „ganze Welt" zwischen Schrebergartenidylle und Supermarktparkplatz: Sandler und Biedermeier, Punks und Superstars, Sprayer und Polizisten, Pinkler und Liebende, Hundebesitzer und Briefträger, Jugendgangs und Exhibitionisten...

„White Studies", Untersuchungen des täglichen/nächtlichen sozialen Verhaltens an der Bannmeile von Ostbahn und Zentralfriedhof, als Bilderfolgen getaktet auf zwei Projektionsleinwände. Untermalt von der Novosibirsker Electronic Band Nuclear Los." (Lucas Gehrmann, Kunsthalle Wien)

Lena Lapschina definiert ihre Mitwelt über den Blick, den sie aus dem Fester wirft  und entferntes Geschehen, Leben, Bilder wahrnimmt und mit ihrer Kamera festhält. Dieser distanzierte Blick, der einfängt, ermöglicht gleichzeitig menschliche Nähe durch empathische Betrachtung.

Versagen wir uns solche Zeitfenster, die auch der  Selbstreflektion dienen, können wir weder eigene noch Bedürfnisse anderer wahrnehmen.  



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Eine Nähe aus der Distanz

Lena Lapschina definiert „Welt" als jenen Raum, der in ihrer Reichweite (vom Schlafzimmerfenster aus) und in jener des für die Herstellung einer aus der Distanz erreichbaren Nähe ausgestatteten Fotoapparats ist. Setzen wir in weiterer Folge den Ort, von dem aus die Aufnahme erfolgt und die Motive, die fokussiert werden, in ein Bezugssystem, dann treten die vor allem im gegenwärtigen Gesellschaftsraum wesentlichen, weil in einem größeren Ausmaß als erwünscht verschwimmenden Grenzen von privat und öffentlich ins Bewusstsein. Auch wenn Lapschinas Einsatz der Fotografie trotz des nachvollziehbaren Raumtransfers auf Anhieb in den Verdacht geraten könnte, parallel zu Überwachungskameras zu arbeiten, spricht die Konfiguration ihrer Bildergebnisse punktgenau vor diesem Hintergrund eine andere Sprache. Denn trotz des schmalen Grats, auf dem der Atlas der Bilder angesiedelt ist, wird ein Bezugssystem hergestellt, das der Richtung von öffentlicher Beobachtung des Öffentlichen zuwiderläuft. Dazu bedarf es allerdings einer ebenso sensiblen wie überzeugend eingesetzten Strategie, die in erster Linie durch den Informationswert der veröffentlichten Bilder charakterisiert ist.

In enger Verbindung damit steht ein kaum im Einzelnen analysierbarer Erfahrungswert, der auf der einen Seite den Umgang mit Limits, auf der anderen Seite dennoch die Vielfalt im Erleben sozialen Verhaltens zum Inhalt hat. Diese Parameter schließen einander dann nicht aus, wenn es um die Öffnung eines Raums geht, der in unterschiedlichen Gradationen an den Schnittstellen von Innen und Außen an jeder der unzähligen, im Lauf des Alltags unbeachteten urbanen Situationen entsteht. Wie von selbst entwickelt sich aus dem Beobachtungsvorgang jene bunte Bildserie, die uns hier vorliegt. Bunt auf der gesellschaftlichen Ebene, wenn wir dem immer Wiederkehrenden, dem Gegensätzlichen sowohl eingeübter als auch spontaner Verhaltensmuster, den generations- und den funktionsbedingt unterschiedlichen Auftritten, dem Geordneten und dem Ungeordneten, der Beachtung und Pflege der Statussymbole, dem verteilten Rollenverhalten, dem Zärtlichen und dem Rauhen, dem Vorstadtflair und den darin eingedrungenen Architekturkonglomerationen, dem Betulichen und dem Weltgewandten, also der Summe des Vereinzelten wie Schematisierten Farbe abgewinnen können und an uns herankommen lassen wollen.

Auf einer intensivierten Basis des für die Fotografie auch immer wieder als mögliches Verfahren herangezogenen Schnappschusses stellt Lena Lapschina die Frage nach dem Kontext einzelner Bilder. Indem sie den Raum und auch den Begriff des Öffentlichen um das Segment kontinuierlicher privater Beobachtung erweitert, verankert sie die Bilderserien bewusst in einem offenen sozialen Umfeld, ohne in irgendeiner Form weitere Handlungen als die permanenter Aufmerksamkeit zu setzen: Ein konziser künstlerischer Zugang, wenn die Welt nicht auf Distanz gehalten werden soll.

Werner Fenz



 


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